Tagesordnungspunkt 4

Beratung

a)    „Pflege im Quartier“ - Stärkung der Beratung und der kommunalen Quartiersentwicklung

Antrag Fraktionen CDU, SPD und FDP - Drs. 8/4035

b)    Ideenwettbewerb für innovative Modelle der Gesundheitsversorgung

Antrag Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Drs. 8/4027

Alternativantrag Fraktion Die Linke - Drs. 8/4079


Einbringerin zu dem Tagesordnungspunkt 4 a ist Frau Gensecke. - Bitte sehr, Sie haben das Wort.


Katrin Gensecke (SPD): 

Vielen Dank, Herr Präsident. - Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Kurz vor seinem 80. Lebensjahr sagte der uns allen unvergessen gebliebene Loriot gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“: „Altern ist eine Zumutung“.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, Altern kann eine Zumutung sein, gerade dann, wenn sich im Alter das ein oder andere Zipperlein einstellt und die Beschwerlichkeiten das Leben erschweren. Älterwerden ist aber heutzutage noch ganz anders als vor 100 Jahren, und zwar gelassener. Denn die Seniorinnen und Senioren von heute haben natürlich eine längere Lebenserwartung als die Generation vor ihnen. Man sagt, dass sie rund eine Dekade an Lebenszeit gewonnen haben. Viele nutzen diese auch. 

Natürlich ist es gerade am Beginn des Ruhestandes, auch wenn man in einer partnerschaftlichen Gemeinschaft lebt, nicht immer ganz einfach, genau diesen Ruhestand hinzubekommen. In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal Loriot zitieren, der in einem seiner Filme gegenüber seiner Partnerin, gespielt von Evelyn Hamann, sagte: „Entschuldige, das ist mein erster Ruhestand. Ich übe noch.“

Viele ältere Bürgerinnen und Bürger nutzen diese Zeit im Ruhestand für neue Dinge, z. B. für Bildung. Sie schreiben sich das ein oder andere Mal wieder an der Universität ein. Sie nutzen die Zeit aber auch, um zu reisen, sowie für die Möglichkeiten, die ihnen gegeben sind, für Sport, aber auch für die Häuslichkeiten, den Garten. Sie haben dann endlich auch einmal mehr Zeit für die Familien, für die Kinder und natürlich für die Enkelkinder.

Diese Generation, meine Damen und Herren, hat es in der Menschheitsgeschichte so noch nicht gegeben. Die Frage, die sich aber viele Ältere genau in dieser Zeit stellen, ist: Wie komme ich am besten glücklich und vor allen Dingen gut organisiert durch diese Zeit, zumal dies die letzte Lebensphase sein könnte? 

Sehr geehrte Damen und Herren! Wir alle wissen, dass die Menschen in Sachsen-Anhalt im Durchschnitt älter als 80 Jahre werden. Damit haben wir die älteste Bevölkerung der Bundesrepublik. Gerade bei uns ist die demografische Entwicklung ganz besonders ausgeprägt. Das zeigen unter anderem auch die Daten des Statistischen Landesamtes. 

Die ältesten Bürgerinnen und Bürger wohnen im Süden des Landes, in Mansfeld-Südharz, und die jüngsten in Halle. Wir sind damit im Schnitt deutlich älter als noch vor drei Jahrzehnten. Über die Gründe für die Abwanderung und die gestiegene Lebenserwartung ist in diesem Haus schon viel diskutiert worden; darauf möchte ich an dieser Stelle verzichten. Aber eine Bevölkerung, die älter geworden ist, verändert sich. Auch die Gesellschaft verändert sich, und darauf müssen wir vorbereitet sein, gerade wenn es um die Gesundheitsversorgung und den gesteigerten Pflegebedarf geht. 

Lassen Sie mich einen Blick auf die Möglichkeiten werfen. Ja, die Zahl der Menschen mit Pflege- und Unterstützungsbedarf im Alter ist gestiegen; das zeigen auch viele Mitteilungen. Berechnungen zeigen, dass sich diese bis zum Jahr 2055 um mehr als 30 % erhöhen wird. 

Aber die gute Nachricht lautet, dass das Leben für die älter werdende Bevölkerung heute in seiner Gestaltung vielfältiger geworden ist. Vor allem ist es gut, zu wissen, dass diese Personengruppe selbst um das selbstbestimmte und eigenverantwortliche Älterwerden weiß, vor allem im vertrauten Wohnumfeld und natürlich in den vertrauten Häuslichkeiten. Denn das Älterwerden soll ja auch Freude bereiten. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Was bedeuten diese Ausführungen nun konkret? - Unser Antrag stellt ab auf Beqisa, auf Beratungsstellen zur kommunalen Quartiersentwicklung in Sachsen-Anhalt. Was macht Beqisa eigentlich? Beqisa gibt es seit 2019. Die Beratungsstellen unterstützen Landkreise, kreisfreie Städte und Kommunen in der Vernetzung der Förderung von regionalen und überregionalen Angeboten. Beqisa liefert Impulse, die in Quartieren gemeinsam entwickelt werden können, indem zukunftsweisende Beispiele guter Praxis in den Quartieren den Handelnden öffentlich zugänglich gemacht werden. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen erklären. Ich habe mir einige Projekte herausgesucht. 

Erstens. Die digitalen Engel. Im Rahmen dieses Projekts ist die kommunale Beratungsstelle durch das Land getourt, nämlich durch das Jerichower Land, durch die Altmark und durch den Landkreis Mansfeld-Südharz; dort haben viele dieser Projekte bereits ihre Erfüllung gefunden. Das Projekt der digitalen Engel soll die digitale Kompetenz vor allem der älteren Generation ermöglichen bzw. steigern. Kompetenzen in diesem Bereich können vor allem das Leben bereichern und vor allem auch den Alltag erleichtern. Der eine oder andere von uns weiß auch: Wenn wir jetzt durch die Lande fahren, beobachten wir, dass bspw. die von Geldinstituten aufgestellten Container gar nicht mehr vorrätig sind. Daher sind genau solche Projekte wichtig, mit denen man der älteren Generation ein Stück weit Unterstützung bietet und ihr z. B. erklärt, wie Onlinebanking funktioniert. 

Das zweite Projekt fand ebenfalls im Bereich der Digitalisierung statt. Dabei handelt es sich um ein digitales Bewegungsprogramm für Pflegebedürftige in der Häuslichkeit. Dieses Projekt heißt PAF@Home. In einem Zwölfwochenkurs wurden individuelle digitale Bewegungsangebote unterbreitet und die Seniorinnen und Senioren wurden mitgenommen, begleitet und unterstützt. Ich finde es faszinierend, dass in diesem Zeitraum allein 300 Personen von diesem Angebot Gebrauch gemacht haben, um ihre Körperlichkeit, ihre Mobilität, aber auch die Gesundheit zu stärken. 

Das dritte Projekt befindet sich gar nicht weit entfernt vom Landtag. Dabei handelt es sich um generationsübergreifende Stadtteilarbeit im Gröninger Bad in Magdeburg. Der Verein setzt sich aktiv für die Entwicklung und Gestaltung seines Stadtteils ein und bietet Seniorinnen und Senioren z. B. alle zwei Monate einen Tanztee an und macht Angebote, um die Mobilität und das Gedächtnis zu schulen und zu trainieren. Bei diesem Projekt geht es auch um die kulturelle Bewegung, den Austausch miteinander, die Stärkung von Fähigkeiten, aber auch darum, dass man, wenn man im Alter allein lebt, möglicherweise nicht so einsam ist.

Das vierte Projekt, das ich kurz ansprechen möchte, ist eine digitale und barrierefreie Musterwohnung. Die Wernigeröder Wohnungsbaugenossenschaft zeigt mit moderner Technik, wie es funktionieren kann, wie man eine Wohnung umbauen, anpassen und einrichten kann, um Unterstützung zu geben, sodass man so lange wie möglich in seinen eigenen vier Wänden, in der eigenen Häuslichkeit verbleiben kann. 

Ein fünftes Projekt wird im Jerichower Land, in Güsen umgesetzt. Das ist die Mitfahrbank. 

(Jörg Bernstein, FDP: Sehr gut!)

Im öffentlichen TV ist dieses Projekt bereits vorgestellt worden. Im öffentlichen Raum wird eine Mitfahrbank aufgestellt und durch das Platznehmen auf dieser Bank signalisieren die Wartenden, dass sie auf eine spontane und kostenlose Mitfahrgelegenheit im Pkw zu einem bestimmten Zeitpunkt hoffen. Ziel dieses Projekts, das der Heimatverein Güsen auf den Weg gebracht hat, war es, einen Treffpunkt für spontane Fahrgemeinschaften und auch für Begegnungen untereinander zu schaffen, zumal der ÖPNV in dieser Region nicht ganz so gut aufgestellt ist. 

Zum Schluss noch ein letztes Beispiel, nämlich das Projekt Miteinander in Deersheim im Harz. Der Dorfladen Deersheim hat das Ziel verfolgt, im ländlichen Raum das Dorf wieder zu dem zu machen, was es ist, nämlich zu einem eigenständigen Wohn-, Arbeits-, Sozial- und Kulturraum, und diesen auch zu erhalten. Wir wissen alle, dass es in den Kommunen unseres ländlich geprägten Landes Sachsen-Anhalt keine Kioske, keine Cafés, keine Kneipen, keine Post und keine Bank mehr gibt. Dieser Dorfladen, der seit 2016 existiert und auch die Zeit von Corona überlebt hat, schafft einen Anlaufpunkt nicht nur für Lebensmittel des täglichen Bedarfs, sondern bietet auch eine Poststelle und ein Café mit Imbiss. Das wird von Verkäuferinnen und Verkäufern vor Ort unterstützt, aber auch von Ehrenamtlichen. 

Sehr geehrte Damen und Herren! Anhand der ausgewählten Beispiele sehen Sie, was Quartiersentwicklung alles leisten kann. Wenn es auch nicht jedes Projekt dauerhaft schafft, werden doch immer wieder neue Ideen und Ansätze ausprobiert, um das Leben im Quartier für alle lebenswerter zu machen und neue Möglichkeiten zu eröffnen. Die vielen anderen Projekte, die von Beqisa gefördert werden, sind meist nur mit kleinen Beiträgen eingestellt, leisten einen Beitrag zur Umsetzung des Koalitionsvertrags im nachgewiesenen Landesaktionsplan „Pflege im Quartier“, der die ambulante Pflege durch kleinteilige und bedarfsgerechte Versorgungsangebote optimieren soll.

Unser Ihnen nun vorliegende Antrag zielt auch darauf ab, die vor Ort geförderten Projekte zu vernetzen sowie lokale Organisationen, Vereine und Unternehmen als Partner für solche Projekte zu gewinnen. 

Wir halten auch die Erweiterung des Tätigkeitsspektrums um den Gesundheitsbereich für wichtig. Denn die bisherigen Schwerpunkte, die ich an einigen Beispielen erläutert habe, nämlich Wohnen, Technik und die Versorgung im Quartier, sollten um den Bereich der Gesundheit ergänzt werden. 

(Beifall bei der SPD) 

Denn wir denken, bei diesem Projekt kann möglicherweise das Wissen älterer Leute über Gesundheitsprävention erhöht werden. Es können damit aber auch konkrete Angebote zur Unterstützung von lokalen Angeboten der Gesundheitserhaltung gemacht werden. Das können Themen wie gesunde Ernährung, aber auch Sport und Bewegung im Alter sein - damit rufen wir die Sportvereine an -, sowie Lebensmut, physische und psychische Gesundheit. Das alles soll eine wichtige Rolle bei der Auswahl spielen. 

Mit einer solchen Palette von Gesundheitsleistungen könnte möglicherweise erreicht werden, dass Seniorinnen und Senioren Maßnahmen erhalten, die ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit stärken und dazu beitragen, dass sie möglicherweise nicht in eine stationäre Pflegeeinrichtung umziehen müssen; verhindert werden kann das gleichwohl nicht. Ein solcher Umzug löst bei vielen Ängste, Unruhe und Sorgen aus. 

Es geht um einen gemeinsamen Weg, der gegenseitig bestärkt und verbindet und fördernde Bedingungen darstellt - Aufbauend auf diesem Grundsatz sollen in Sachsen-Anhalt altersgerechte Quartiere entstehen, wachsen und sich vervielfältigen, um ein lebenswertes Altern zu begünstigen. Dabei soll nicht nur der pflegerische Bedarf der Beratung und der Förderung in den Fokus gerückt werden, sondern der Bereich der Gesundheit soll mit einbezogen werden. 

An dieser Stelle möchte ich bereits um die Zustimmung zu unserem Antrag bitten.

(Beifall bei der SPD) 

Ich möchte aber am Ende meiner Ausführung noch kurz auf den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Ideenwettbewerb für innovative Modelle der Gesundheitsversorgung eingehen.

Ja, es ist richtig, dass wir neue Wege zur Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum gemeinsam gehen müssen, dass das Modell der Einzelpraxis als solches schon jetzt an seine Grenzen stößt und die Nachfolgersuche extrem schwierig erscheint. Deswegen ist es auch richtig und gut gewesen, dass wir im Jahr 2017 die Landarztquote für die Medizinstudierenden eingeführt haben. Denn die Landarztquote in Sachsen-Anhalt hat sich inzwischen als Erfolgsmodell für einen Weg für die Medizinstudierenden etabliert.

Alle Studierenden im Rahmen der Landarztquote bekommen einen Hausarzt als Mentor an ihre Seite und sammeln somit schon frühzeitig Praxiserfahrung. Das sind gute Voraussetzungen, um später einmal eine Praxis im Land zu übernehmen. Allerdings sollte man es sich genau überlegen, ständig über Modelle Neues entweder als Innovationswettbewerb oder als Modellprojekt aufzulegen; denn einige Vorhaben versanden nach einiger Zeit wieder. Sie brauchen logischerweise Ressourcen bei der KV, bei den Kassen und natürlich auch finanzielle Ressourcen. 

Aber schauen wir doch auf einige Möglichkeiten, die im Antrag schon angesprochen sind und die wir im Fachausschuss besprochen haben. 

Zum Beispiel - das ist etwas ganz Neues- können Niederlassungen in unterversorgten oder drohenden unterversorgten Gebieten mit bis zu 80 000 € für einen Arztsitz gefördert werden. Das wurde im Auftrag der Geschäftsstelle des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen des Landes Sachsen-Anhalt beschlossen. Im Zeitraum vom 1. April 2024 bis 30. Juni 2026 sind Sicherstellungszuschläge in Höhe von 80 000 € möglich. Eine finanzielle Unterstützung ist nun möglich für die Errichtung neuer Arztpraxen, für Praxisübernahmen und auch für die Anstellung von Ärzten in Regionen Sachsen-Anhalts mit drohender Unterversorgung oder zusätzlichem Versorgungsbedarf.

Man darf auch nicht außer Acht lassen, dass Praxen inzwischen auch nichtärztliche Praxisassistenten und -assistentinnen, die sogenannten NäPa, beschäftigen können, die bei der Betreuung vieler Patientinnen und Patienten Unterstützung, z. B. bei Hausbesuchen aber auch bei dem Aufsuchen von Pflegeheime, bieten. 

Die KV betreibt außerdem eine Reihe von Einrichtungen, selbst Praxen und Personalstellen, in denen die Ärzte im Angestelltenverhältnis beschäftigt sind. Das sind ein Stück weit die sogenannten Filialpraxen. Sie wurden an Orten mit ungedecktem Versorgungsbedarf etabliert. Außerdem wurden Praxen, die nicht nachbesetzt wurden, als Eigeneinrichtungen fortgeführt.

Sehr geehrte Damen und Herren! Modelle, wie z. B. die rollende Arztpraxis, funktionieren auch nicht überall und mussten ganz schnell wieder aufs Abstellgleis bzw. in die Garage gefahren werden, wie z. B. im Nachbarland Niedersachsen. Das ist sehr schade. Es war aber nicht zu vermeiden, weil dort - ich glaube, es war im Landkreis Gifhorn - der Zuspruch der Bürgerinnen und Bürger einfach nicht vorhanden war.

(Nicole Anger, Die Linke: In Hessen läuft es wunderbar!)

Allerdings - das ist immer mehr die Realität - steigt der Trend zur Anstellung in der ambulanten Versorgung. Gut ein Drittel aller Ärzte in der ambulanten Versorgung ist bereits angestellt in Unterbeschäftigung, aber auch in der Niederlassung oder in einem sogenannten Medizinischen Versorgungszentrum. Und ja, am Ende sollte man auch den Trend akzeptieren, dass es immer mehr Ärzte gibt, die in Vollzeit arbeiten wollen. Deshalb muss der Arztberuf

(Zuruf von Nicole Anger, Die Linke)

zukünftig vielleicht auf das Notwendigste beschränkt werden. Vielleicht ist es aber auch besser, erst einmal bereits vorhandene Strukturen anzunehmen und anzupassen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.